Freitag, 28. Mai 2010

Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück.
Gottfried Benn


Am Ende des Einkaufs wie immer in die Zeitschriftenabteilung. Es ist Freitagabend und auch diese Geschichte spielt in einem Supermarkt, weil eben in Supermärkten immer was los ist. Kurz noch zum Szenenbild und zur Atmosphäre, dann geht’s auch schon los: Man stelle sich einen Protagonisten vor, Jeans, Pullover, Brille, mittelgroß, bißchen dick, so vierzig vielleicht, was weiß ich denn, jedenfalls so’n normaler Typ halt. Er kauft Obst und Cola und anderen Quatsch, den er beim traditionell donnerstägigen Einkauf vergessen hat.

Zu Beginn der Geschichte stellt der Mann fest, daß er der einzige im ganzen Laden ist, der keinen Kasten Bier oder Wodka oder Red Bull kauft (oder wenigstens schon intus hat).

Nun. Zeitschriftenabteilung wie gesagt. Sie schließt sich hier vorn den Kontaktlinsen und Spirituosen an, hinten über Sport-, Auto- und Erotikzeitschriften der Bekleidungsabteilung – deshalb auch die bereits erwähnte Umkleidekabine hier vorne links bei den Handtüchern, siehste ja. Na, jedenfalls.. Guck mal, da kommt grad‘n junger Herr aus der Kabine wie aus der Zauberkugel.

Er trägt kurze Haare, einen Kapuzenpullover und ist bestimmt stark. Stark angetrunken auf jeden Fall (cf. Lok Leipzig). Er guckt an sich runter und zeigt auf seine hellblaue Fünfmarkjogginghose und jetzt fragt er dich, der du gerade nach einer ähm.. Fußballzeitschrift, genau, im Regal greifst:

„Sieht das schwul aus?“

Kurze Bedenkzeit. (Ob er auch denken kann?)

„NEIN! DAS SIEHT EINFACH NUR SCHEISSE AUS! GENAU WIE DEINE JACKE! DEINE FRESSE! UND DEIN ARMSELIGES FREITAG-ABENDS-BESOFFEN-BEI-KAUFLAND-SHOPPEN-GEHEN-LEBEN!“

Könnte man so sagen. Sollte man so sagen, aber du hast natürlich nur „Äh, nö“ gestammelt (hoffentlich merkt er nicht, daß ich nüchtern bin und lesen und schreiben kann, hast du gedacht) und bist dann schnell weggegangen und hast zum Glück nur noch halb „Ich will doch nicht rumrennen wie ‘ne Schwuchtel!“ gehört.

Neulich hast du noch über den Autoaufkleber in Dresden gelacht: „sgladdschdglei“ stand an dem VW T2 vor dir an der Ampel bei der sternförmigen Araltankstelle. Jetzt bist du froh, daß es nicht geklatscht hat und schämst dich deiner Untätigkeit.

Dumm sein und keine Arbeit haben, das ist das Unglück für die anderen, Herr Benn.

Mittwoch, 26. Mai 2010

// Boule de neige. Oder: Parabel auf das Leben in der Konsumgesellschaft, in der massenhaft von Frauen produzierte Schneebälle Konsumgüter symbolisieren, die den Menschen, die leben wie ein Tier, den Blick auf die Wahrheit versperren, indem sie ihn ablenken.

Im Park stand ein junges Mädchen, was ja eigentlich schon Humbug ist, weil junge Mädchen zwar die jüngsten unter den Frauen, ja aber doch eher die ältesten unter den Mädchen sind, ein junges Mädchen jedenfalls stand da, mit einer Mütze und dunkelbraunen Haaren drunter und auch sonst ganz normal halt.

Sie formte unaufhörlich Schneebälle und warf diese einem mittelgroßen so mittelfarbenen Hund zu. Es war wohl ein Coco-Spanier oder so, jedenfalls ziemlich sicher ein Hund, würde ich sagen. Aber ich kenne mich da auch nicht so gut aus. Auf jeden Fall rannte das Tier jedem einzelnen Ball vergnügt hinterher, um dann dort, wo der weiße Ball gelandet war, festzustellen, daß er weg und alles nur von Schnee bedeckt war.

Er schaute dann ganz traurig um sich und schließlich zu seinem Mädchen. Sie hielt schon den nächsten Schneeball bereit. Sobald dieser ihre Hand verließ, rannte der Hund, ja doch, ich würde schon ziemlich sicher sagen, daß es ein Hund war, wieder quietschvergnügt los.

Dienstag, 25. Mai 2010

// Rainald Grebe feat. Will Future: Die vier Zieger-Jahre
Ich seh ein altes Bild von mir.
Ich mit vollen Haaren.
Das war im letzten Semester
in den nullnuller Jahren.
Ich war damals auf Festivals,
ich war ein wilder Knutscher.
Meine Freundin war sogar befreundet
mit dem Will Future.

Herr Mai fuhr auf dem Hollandrad
und der Herr Mai lachte viel.
Ich wär gern länger geblieben,
ich glaub, wir haben Literaturgeschichte geschrieben.

Alle hatten damals Pascal Nicklas gern.
Ich auch! Ich auch! Ich auch!

Alle wollten so wie die Homa sein.
Ich auch! Ich auch! Ich auch!

Alle lasen säckeweise Baudelaire.
Ich auch, ich war dabei.

Den Magistern ging es prima.
Master war noch kein Thema.
Man dachte nix Böses, wenn die Sonne schien.
Man dachte nix Böses.

Ach die vier vier vier, die vier vier vier Zieger,
vier vier vier, die vier vier vier Zieger,
vier vier vier vier vier vier vier vier vier Zieger Jahre sind vorbei.

Ulrich Meurer war noch nicht in Wien,
er war graumeliert.
Henry Remak war noch glücklich im Bordell.
Ach, die Zeit vergeht so schnell.
In der Kneipe sagten wir: bitte ne Coke.
Und Lady Macchiato mit Schuß.
Es gab Studenten, die studierten gar nicht
oder 18 Semester Erasmus..

Wir meinten alles wortwörtlich,
auch die Ironie.
Und ich wär gern länger geblieben.
Ich glaub, wir haben Literaturgeschichte geschrieben.

Alle haben sich ein Rennrad gekauft
Ich auch! Ich auch! Ich auch!

Alle wollten nur nach Reudnitz ziehen.
Ich auch! Ich auch! Ich auch!

Alle waren leipzscher Subkultur.
Ich nicht, ich nicht, ich nicht.

Und man konnte Lesen,
sogar in der Öffentlichkeit!
Leser waren keine Mörder,
sondern Mitbürger..

Ach die vier vier vier, die vier vier vier Zieger,
vier vier vier, die vier vier vier Zieger,
vier vier vier vier vier vier vier vier vier Zieger Jahre sind vorbei.

Ich bin ein alter Studiengängler
aus einer anderen Epoche.
War das in der Kreidezeit
oder letzte Woche?

Ach die vier vier vier, die vier vier vier Zieger,
vier vier vier vier vier vier vier vier vier Zieger Jahre sind vorbei.

Für mich und mein Nebenfach und für Lévi-Strauss..
Bye bye ..

Dienstag, 18. Mai 2010
















Will Future traf am vergangenen Wochenende den Photographen Bo Regarr zur Eröffnung seiner Ausstellung „airplanes. naked“ am Pariser Place de Furstemberg.

Herr Regarr, ich grüße Sie. Ein Hamburger in Paris – wie konnte denn das passieren?

Nun, zunächst einmal grüße ich auch Sie, Herr Fütür. Oder heißt es Fjuhtschor?

Mein Name ist Future. Will Future.

Ahja.

Aber sprechen wir doch von Ihren Bildern, Herr Regarr.

Sehr gern.

Erklären Sie doch bitte unseren Lesern, die nicht mal eben schnell rüberjetten können, die Besonderheit Ihrer Bilder.

Also, meine Bilder sind insofern speziell, als daß ich mich seit einigen Jahren der Nacktphotographie verschrieben habe -

Entschuldigen Sie bitte mein frühes Einhaken, aber heißt es nicht eigentlich Aktphotographie?

Eine bestimmte Art der Photographie heißt natürlich Aktphotographie, das haben Sie ganz richtig erkannt. Aber meine Herangehensweise ist eine andere. Aktphotographie ist mir zu eng gefaßt.

Weil Akt nur ein Teil der Nacktphotographie ist? Weil Sie sich auch für pornographische Bilder interessieren?

Das tue ich sicherlich, wobei in meinen Augen das Medium Film um einiges geeigneter für die Pornographie zu sein scheint. Das ist aber nicht mein Ansatz, wenngleich ich zugeben muß, daß das Hinwenden zum Pornographischen dahingehend in die richtige Richtung geht, als daß es die Photographie nicht nur auf das streng klassisch Künstlerische beschränkt.

Sie gehen also d’accord, Pornographie als Nicht-Kunst zu verstehen!?

Natürlich, da bin ich durchaus reaktionär. Den Kunstbegriff ewig zu weiten, macht ihn doch irgendwann unoperabel, nicht wahr!? Aber wie gesagt, ich setze an anderer Stelle an. Akt- und Nacktphotographie zu unterscheiden finde ich eigentlich unsinnig, weil beide Kategorien doch auf verschiedenen Ebenen anzusiedeln sind.

Inwiefern?

Nun. Selbstredend kann ein Nacktbild auch ein Aktbild sein, aber es ist eben nicht jedes Nacktbild ein Akt und längst nicht jeder Akt ist ein Nacktbild. Das Merkmal „Akt“ ist schließlich auf Seite des Kunstwerkes, des Produktes zu sehen, wohingegen „Nackt“ auf Seite des Künstlers, des Produzenten anzusiedeln ist. Sehen Sie den Unterschied?

Ehrlich gesagt bin ich ein wenig verwirrt.
Das ist gar kein Problem! Deswegen gebe ich ja ab und an Interviews. Um mich zu erklären. Nun. Ich mache es kurz: Ein Aktbild ist ein Bild, das einen nackten Körper zeigt (und keine Pornographie ist, doch dies nur in Parenthese). Ein Nacktbild hingegen kann theoretisch alles mögliche zeigen: eine Straße, einen gekleideten Menschen etc. sogar einen Akt oder auch Pornographie. Schauen Sie sich einfach hier die Bilder an und Sie sehen die Vielfalt. Das Nacktbild wird erst dadurch zum Nacktbild, weil es von einem oder einer Nackten gemacht wurde. Dadurch erhält es erst diesen speziellen Stil, diese Spannung, die von einem geübten Kritiker wie von einem Laien erkannt wird. Und geschätzt! (lacht)

Sind Sie sicher, daß man das einem Bild ansieht?

Ich weiß es! Sehen Sie sich doch die Bilder an. Ich gebe zu, daß das Auge des Betrachters ein wenig geschult sein muß, daß bestimmte Elemente bekannt sein müssen. Dann jedoch ist es ein Leichtes, ein Nacktbild von einem „Kleidbild“, wie ich es nenne, zu unterscheiden. Ich bin zur Zeit auch dabei, diese Kategorien und Elemente auch auf die Malerei anzuwenden und kann bereits jetzt sagen, daß stimmt, was schon längst vermutet wurde: Michelangelo malte nackt (für seine Experimente verwendete er eine Schutzbrille), van Gogh hingegen bekleidet, was sich in seinen verklemmten Bildern mehr als deutlich zeigt. Dagegen Michelangelo! Majestätisch mit einem Hauch von Unsicherheit, der erst diese Spannung in seine Malerei bringt – eine Eigenschaft, die (schutzbrillenbedingt) bereits seinen Experimenten ein wenig abgeht.

Nennen Sie uns doch bitte noch einige andere große Nacktmaler, Herr Regarr.

Wie gesagt: Ich stehe noch am Anfang meiner Studien diesbezüglich, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit kann davon ausgegangen werden, daß sowohl Caspar David Friedrich als auch Lukas Cranach d.J. (in Abgrenzung zu seinem Vater) nackt malten, wohingegen Picasso und Paul Klee angezogen arbeiteten. „Angezogen“ scheint hier ein zentraler Begriff zu sein, weil diese Maler eben mit „angezogener“ Handbremse gearbeitet zu haben scheinen. Das ist gar nicht unbedingt abwertend gemeint, aber ich kann jedem Hobbykünstler, jedem Hobbyphotographen nur dringendst empfehlen, einmal nackt in der Natur oder auf Familienfesten zu photographieren. Sie werden sehen, was da für Energien frei werden! Im übrigen ist das Nacktarbeiten nicht nur auf die bildenden Künste anzuwenden.

Nein, natürlich! Beispielsweise auch im horizontalen Gewerbe!

Haha, sehr witzig, Herr Future. Wie sachlich Sie sind. Erst kommen Sie mit Pornographie und jetzt mit Prostitution. Schöne Hobbies haben Sie da.

Entschuldigänse.

Eigentlich wollte ich darauf hinaus, daß beispielsweise Woody Allen den Großteil seiner Filme nackt dreht. („Was Sie schon immer über Sex wissen wollten…“ und „Annie Hall“ bilden die seltenen Ausnahmen.) Und selbst in den Filmen, in denen er vor der Kamera zu sehen ist, dürfte jeder Zuschauer sehen, daß Allens Kleidung nur Maskerade über einer natürlichen Nacktheit ist. Noch auffälliger ist dieser Eindruck vielleicht noch in den Filmen mit Gina Lolobrigida oder der frühen Sharon Stone, die ganz explizit auf diese Nacktheit anzuspielen scheinen.

Ich weiß genau, was Sie meinen, Bo!

Na sehen Sie. Übrigens schrieben sowohl Dostojewski und Flaubert als auch Vergil und Martin Luther nackt, aber das dürfte ja wohl kaum noch überraschen.

Und wie sieht es mit unseren beiden größten – na… hier… Goethe und Schiller aus?

Nun, bei den beiden verhält es sich freilich ganz besonders: Beide schrieben bekleidet, aber nur in Anwesenheit des jeweils anderen, der nackt gegenüber saß.

Vielen Dank für dieses Interview, Herr Regarr und halten Sie uns doch bitte auf dem Laufenden ihrer Studien.

Ich danke auch Ihnen, möchte jedoch noch einmal festhalten, daß mein Schwerpunkt auf der Produktion von Nacktphotographien liegt, nicht auf wissenschaftlichen Etüden.

Bo Regarr, 1973 in Hamburg geboren, von 1988 bis 1994 in Kiel und Cambridge zum Dachdecker/FH ausgebildet, brach sein anschließendes Masterstudium zum Juristen in Paris nach vier Tagen ab. Seit 1979 beschäftigt er sich intensiv mit Photographie an der Volkshochschule Hamburg-Harburg und nimmt seit 1989 regelmäßig (drei entschuldigte Fehltage) am Harikiri Stammtisch Altona teil. Er lebt nach einigen Jahren in Harburg, wo er weiterhin die Sommermonate verbringt,
seit 2003 wieder in Hamburg.
Seine Befürchtungen, man würde es dem Interview anmerken, daß er seine Hosen an diesem Tag zuhause vergessen hatte auszuziehen, blieben unbegründet.


Donnerstag, 13. Mai 2010

Die Straße lag naß vor ihm. Dunkel war es ja schon gewesen als er hineingegangen war. Aber der Regen war neu. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Einer der wenigen Sätze seiner Kindheit, die er wirklich verinnerlicht hatte. Nur hatte sich das mit dem Wetter nicht im Geringsten angekündigt, also auch keine wetterfeste Kleidung. Nur Hausschuhe und gute Laune. Haha. Doch was gab es denn besseres, als nach Stunden mit Alkohol, Rauch und Schweiß nochmal durch die Nacht zu laufen und zu atmen.

Am …platz schubsten sich ein paar finstere kurzhaarige Gestalten durch den Matsch. Da hatte er jetzt wirklich keine Lust mehr drauf und hoffte, daß sie ihn nicht sehen würden. Er hielt sich ein wenig links von der Ideallinie außerhalb der Straßenbeleuchtung.

So spät allein auf der Straße, junges Fräulein!?
Das hatte also schon mal nicht geklappt. Jetzt konnte er auch gleich hingehen, dann konnten sie ihm wenigstens nicht in den Rücken fallen.
Alles fit im Schritt, Sportsfeunde!? versuchte er so deutlich wie möglich zu sagen.
Halt’s Maul. Sag lieber mal, was du mit einem machen würdest, der mit deinem Freund rumgeknutscht hat.
Der mit meinem Freund…? dachte er. Das ist doch’ne Fangfrage.
Ja, Mann, der Knilch da hat mit meinem Freund rumgemacht, sagte der größte der insgesamt recht großen Gesellschaft und zeigte auf den zweitgrößten, der in einer Pfütze saß und rauchte. Das konnte ja noch ganz amüsant werden.. Er zündete sich erstmal eine an und guckte in die auch schon ziemlich fertige Meute. Man bot ihm Bier an, als er sagte, daß er dann mal wieder los müsse. Der Große schubste ihn daraufhin unmotiviert auf die Straße, wo er sich in der Bahnschiene den Fuß verstauchte. Er hob den Arm zum Gruß und humpelte weiter in Richtung Osten der Stadt.
Als er sich nach einigen Metern noch einmal umdrehte, hievten sie gerade den einen aus der Pfütze und man ging Arm in Arm die …straße hinauf. Es war nicht ganz klar -

Mittwoch, 5. Mai 2010

// Seid wenig

Könnt alles
Küßt manchen
Müßt hier weg
Macht nichts
Nur Birnen halten
und sonst nichts.
Seid schön.

// 23 / 11 / 09